Wie Oberflächenrauigkeit die Haftung weicher Materialien beeinflusst

Forschungsteam entdeckt universellen Mechanismus, der zur Adhäsionshysterese bei weichen Materialien führt

Klebeband oder Haftnotizen lassen sich leicht an einer Oberfläche anbringen, aber nur schwer wieder von ihr lösen. Dieses Phänomen, die sogenannte Adhäsionshysterese, lässt sich grundlegend bei weichen, elastischen Materialien beobachten: Ein adhäsiver Kontakt wird leichter gebildet als getrennt. Forscher der Universität Freiburg sowie der US-amerikanischen University of Pittsburgh und University of Akron haben nun herausgefunden, dass diese Adhäsionshysterese durch Oberflächenrauigkeit der haftenden, weichen Materialien hervorgerufen wird. Anhand von Experimenten und Simulationen konnte das Team nachweisen, dass die Rauigkeit den Trennungsprozess stört und dazu führt, dass sich die Materialien in winzigen, abrupten Bewegungen trennen, wodurch sich Teile der adhäsiven Verbindung schrittweise lösen. Dr. Antoine Sanner und Prof. Dr. Lars Pastewka vom Institut für Mikrosystemtechnik und dem Exzellenzcluster livMatS der Universität Freiburg, Dr. Nityanshu Kumar und Prof. Dr. Ali Dhinojwala von der University of Akron und Prof. Dr. Tevis Jacobs von der University of Pittsburgh haben ihre Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.

„Unsere Erkenntnisse werden es ermöglichen, die Haftungseigenschaften von weichen Materialien gezielt durch die Oberflächenrauigkeit zu steuern“, sagt Sanner. „Damit können künftig auch neue und verbesserte Anwendungen etwa in der Softrobotik oder Produktionstechnik entwickelt werden, zum Beispiel für Greifer oder Bestückungssysteme.“

Bildbeschreibung: Die Simulation zeigt die Kontaktfläche eines weichen Festkörpers, der von einer rauen Oberfläche getrennt wird. Jeder farbige Fleck entspricht einer Instabilität des Kontakts. Anhand der unterschiedlichen Farbintensität zeigt sich, wie viel Energie dabei verloren geht. 


Plötzliche Sprungbewegung der Kontaktkante

Bisher ging die Forschung davon aus, dass eine viskoelastische Energiedissipation die Adhäsionshysterese bei weichen Festkörpern verursacht. Dabei geht im Material Energie in Form von Wärme verloren, weil es sich im Kontaktzyklus verformt: Es wird bei der Kontaktbildung komprimiert und dehnt sich beim Lösen aus. Diese Energieverluste wirken der Bewegung der Kontaktfläche entgegen, wodurch sich die Haftungskraft beim Trennen verstärkt. Auch eine Kontaktalterung, also die Ausbildung chemischer Bindungen an der Kontaktfläche, wurde als Ursache vermutet. Hierbei wird die Haftung größer, je länger der Kontakt besteht. „Unsere Simulationen zeigen, dass die im Experiment beobachtete Hysterese auch ohne diese speziellen Energiedissipationsmechanismen erklärt werden kann. Die einzige Quelle von Energiedissipation in unserem numerischen Modell ist die plötzliche Sprungbewegung der Kontaktkante, die durch die Rauigkeit induziert wird“, so Sanner.

Die Animation (Bild in der Originalpressemitteilung) zeigt die mikroskopisch kleinen Sprünge der Kontaktlinie, in denen sich ein kleiner Teil der adhäsiven Verbindung löst. Quelle: Nityanshu Kumar, Ali Dhinojwala


Adhäsionshysterese für realistische Oberflächenrauigkeit berechnet

Diese plötzliche Sprungbewegung ist in den Simulationen der Freiburger Forscher und in den Adhäsionsexperimenten der University of Akron deutlich zu erkennen. „Die sprunghafte Änderung der Kontaktfläche wurde schon in den 1990er Jahren als mögliche Ursache der Adhäsionshysterese genannt, jedoch beschränken sich die bisherigen theoretischen Arbeiten hierzu auf vereinfachte Oberflächenbeschaffenheit“ erläutert Kumar. „Uns ist es das erste Mal gelungen, die Adhäsionshysterese für realistische Oberflächenrauigkeit zu berechnen. Dies beruht auf der Effizienz des numerischen Modells und einer extrem detaillierten Oberflächencharakterisierung, die von den Forschern der University of Pittsburgh vorgenommen wurde,“ sagt Jacobs.


Über den Exzellenzcluster livMatS

Die Vision des Exzellenzclusters Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) ist, das Beste aus zwei Welten – der Natur und der Technik – zu verbinden. livMatS entwickelt lebensähnliche Materialsysteme, die von der Natur inspiriert sind. Diese Systeme werden sich autonom an Umweltbedingungen anpassen, saubere Energie aus ihrer Umgebung gewinnen und unempfindlich gegen Beschädigungen sein oder diese selbstständig ausgleichen.

  • Originalpublikation: Antoine Sanner et al., Sci. Adv. 10, eadl1277 (2024). doi: 10.1126/sciadv.adl1277.
  • Dr. Lars Pastewka ist seit 2017 Professor für Simulation an der Technischen Fakultät und Mitglied des Exzellenzclusters Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg.
  • Antoine Sanner hat am Institut für Mikrosystemtechnik und im Exzellenzcluster livMatS promoviert.
  • Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (livMatS - EXC 2193), dem European Research Council (StG 757343), der National Science Foundation (DMR-2208464) und dem National Institute for Occupational Safety and Health (R21 OH012126) gefördert.


Link zur Originalpressemitteilung: https://kommunikation.uni-freiburg.de/pm/2024/wie-oberflaechenrauigkeit-die-haftung-weicher-materialien-beeinflusst


Kontakt:

Prof. Dr. Lars Pastewka
Simulation
Institut für Mikrosystemtechnik – IMTEK
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
E-Mail: lars.pastewka@imtek.uni-freiburg.de

Kerstin Steiger-Merx
Referentin PR/Marketing
Technische Fakultät
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-8056
E-Mail: steiger-merx@tf.uni-freiburg.de

08.03.2024