Corona-Nachweis in 35 Minuten

Schon im Spätsommer plant Spindiag, eine Ausgründung der Universität Freiburg, einen Schnelltest für Sars-CoV-2 auf den Markt zu bringen

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Die Ausgründung Spindiag will mit dem Testsystem, das aus einer Disk und einem Playergerät besteht, leicht anwendbare Corona-Schnelltests produzieren.

Freiburg, 21.04.2020

Rasch, unkompliziert und kinderleicht zu bedienen: In 30 bis 40 Minuten soll das Testsystem der Spindiag GmbH das Coronavirus Sars-CoV-2 nachweisen. Der Schnelltest soll schon im dritten Quartal 2020 zugelassen und erhältlich sein. Dafür will das Team ein von ihm entwickeltes Testprinzip, das bereits bei anderen Erregern funktioniert, auf Sars-CoV-2 umrüsten. Mit sechs Millionen Euro unterstützt das Land Baden-Württemberg das Projekt der Spindiag und des Hahn-Schickard-Instituts für Mikroanalysesysteme. An diesem Institut und am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg (IMTEK) hat das Testsystem seinen Ursprung.

„Wir geben Vollgas“, betont Spindiag-Geschäftsführer Dr. Daniel Mark. „Wir konnten bereits zeigen, dass mit unserem Testsystem auch die Sars-CoV-2-Gene nachweisbar sind.“ Der Nachweis anderer Erreger und Gene mit den Schnelltests funktionierte schon vorher. Um sie auf Sars-CoV-2 umzurüsten, musste die Spindiag nur biochemische Details verändern. Darum schätzt Mark, erste Test-Sets im dritten Quartal 2020 ausliefern zu können. „Die Chancen sind extrem hoch“, findet auch Prof. Dr. Roland Zengerle vom IMTEK der Universität Freiburg. In seiner Arbeitsgruppe für Anwendungsentwicklung hat die Technologie ihre Wurzeln. Das Land Baden-Württemberg beurteilt die Erfolgsaussichten ebenfalls gut: Es fördert die Spindiag GmbH und das Hahn-Schickard-Institut für Mikroanalysesysteme mit sechs Millionen Euro bei der Entwicklung der Corona-Schnelltests. Die Universität Freiburg ist über Unteraufträge in dieses Projekt eingebunden.

Vorversuche in Kliniken liefern sehr gute Daten

„Wir haben mit dem System schon andere Corona-Varianten analysiert und nachgewiesen“, begründet Zengerle seine Zuversicht. Aus seiner Professur für Anwendungsentwicklung und dem dortigen Hahn-Schickard-Institut für Mikroanalysesysteme hat sich Spindiag GmbH 2016 ausgegründet, und fünf der sechs Gründer wurden an der Technischen Fakultät promoviert. „Wir haben sehr gute Daten von allen drei Kliniken bekommen, die unser Testsystem in Vorversuchen verwendet haben“, berichtet Mark. Da ging es zwar hauptsächlich darum, Patientinnen und Patienten zu identifizieren, die Bakterien mit mehrfachen Antibiotikaresistenzen in sich tragen. Doch für Sars-CoV-2-Nachweise sind nur minimale Änderungen nötig.

Mark zeigt eine halbmondförmige Scheibe: „Das Kernstück unserer Technologie.“ Es ist ungefähr einen Zentimeter dick und kaum größer als eine halbierte CD. Jede Disk hat einen integrierten Tupfer. Mit ihm nehmen Pflegekräfte die Proben. Sie machen Abstriche, etwa aus Nase oder Rachen von Patienten, schieben den Tupfer danach einfach wieder in die Disk, legen diese in ein Player-Gerät, drücken Start und – das war’s schon. „Die Bedienung ist so leicht, dass Pflegekräfte alles allein machen können“, sagt Mark. Der Player prozessiert die Probe, zeigt das Ergebnis des Tests an und schickt es automatisch an das Krankenhaus-Informations-System. Auch in der elektronischen Patientenakte lässt sich nach spätestens 40 Minuten sehen: Sars-CoV-2 positiv oder negativ.

Jahrzehnte Erfahrung in einer Disk

Die einfache Bedienung und äußerliche Schlichtheit der Disk könnten täuschen. In dem Gerät stecken Jahrzehnte Erfahrung und Hightech auf dem Gebiet der Zentrifugalmikrofluidik. „Sie ist ein abgegrenztes Feld in der Mikrofluidik, mit der ich mich seit 30 Jahren beschäftige“, sagt Zengerle. Mikrofluidik erforscht, nach welchen Gesetzen sich Flüssigkeiten durch Mikrokanäle bewegen. Dort unterscheidet sich das Verhalten einer Flüssigkeit grundlegend von dem im Gartenschlauch.

Bei der Zentrifugalmikrofluidik kommt Drehung hinzu: Im Player rotieren die Disks mit bis zu 50 Umdrehungen pro Sekunde. Zentrifugalkraft treibt alle weiteren Prozesse an. „Ein Test auf Sars-CoV-2 besteht aus mehr als 30 Einzelschritten“, erklärt Zengerle. Das Herz der Disk ist ein ausgeklügeltes Netz aus leeren Mikrokanälen und Mikrokammern, die teils mit Mikromengen an Reagenzien, also bestimmten chemischen Stoffen, gefüllt sind. In der Disk vermischt sich zunächst die Probe mit einer Vorbereitungsflüssigkeit. Das Gemisch durchströmt weitere Mikrokanäle. Mikrokammern öffnen sich kontrolliert, sodass Reagenzien immer zum richtigen Zeitpunkt in richtigen Konzentrationen aufeinandertreffen.

Die Produktionsstraßen stehen

Am Ende steht der eigentliche Nachweis, eine so genannte nested PCR. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine verschachtelte Kettenreaktion von dem Enzym Polymerase. Die nested PCR funktioniert etwa wie eine Internetsuchmaschine. Sie durchforstet allerdings sämtliche DNA, die eine Probe enthält. Als „Suchwörter“ dienen so genannte Primer, die genau und ausschließlich zu dem gesuchten Gen oder Organismus passen. „Entsprechend mussten wir für Sars-CoV-2 fast nur die Primer austauschen“, sagt Mark. Unter den Ergebnissen der ersten Suche findet eine zweite Ermittlung mit einem neuen Suchwort, also Primer, statt. Dadurch sinkt die Gefahr falscher Resultate erheblich. Das Umrüsten ging schnell, so der Geschäftsführer: „Die 2.000 bis 3.000 Sicherheits- und Zuverlässigkeitstests, die für eine Zulassung nötig sind, kosten viel mehr Zeit.“ Produktionsstraßen, um dann Tausende an Test-Sets herstellen zu können, hat die Spindiag schon aufgebaut. „Dafür sind wir stark in Vorleistung gegangen“, sagt Mark, „Jetzt wäre eine Zusage wichtig, ob und wie viele Test-Sets das Land uns tatsächlich abnimmt.“

Innovation braucht Investitionen

Allein in die Pilotlinie seien drei Millionen Euro geflossen, berichtet Zengerle: „Damit wir sie herstellen können, haben wir extra einen neuen Reinraum gebaut.“ Seine Arbeitsgruppe nutzt Zentrifugalmikrofluidik für viele weitere Anwendungen. Über eine „liquid biopsy“ filtert sie etwa seltene Krebszellen aus Blut- und Urinproben heraus, um frühe Diagnosen zu ermöglichen. Zengerle lobt das Engagement der Hahn-Schickard-Gesellschaft, für die er in Nebentätigkeit arbeitet: „Wenn wir Innovationen aus Uni-Laboren in die Klinik bringen wollen, brauchen wir anwendungsorientierte Entwicklung und entsprechende Investitionen.“ Die kämen teils direkt von Hahn-Schickard. Zudem ließen sich öffentliche Mittel, etwa vom Land, besser über die gemeinnützige Gesellschaft einwerben. „Hahn-Schickard finanziert auch eine Professur in der Informatik der Universität Freiburg, hat auf dem Uni-Gelände rund 80 Beschäftigte und will jetzt 40 Millionen Euro in ein Erweiterungsgebäude am Flughafen investieren“, zählt Roland Zengerle auf. „Wir freuen uns sehr, dass die Uni uns dies ermöglicht.“ Bei einem Erfolg des Corona-Tests wird sich die Kooperation durch Lizenzeinnahmen auch finanziell für die Universität auszahlen.

Jürgen Schickinger

Bericht über das Testverfahren der Spindiag GmbH

Foto: Spindiag GmbH

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