Über Gehirnsignale die Sprache zurückgewinnen

Für ihren innovativen Schlaganfall-Therapieansatz erhalten der Freiburger Informatiker Dr. Michael Tangermann und die Neurologin Dr. Mariachristina Musso den BCI Award 2018

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Foto: Jürgen Gocke

Wenn ein Schlaganfall die Sprachfähigkeit beeinträchtigt, leidet die soziale Interaktion der Betroffenen enorm. Der Informatiker Dr. Michael Tangermann vom Institut für Informatik an der Universität Freiburg und die Neurologin Dr. Mariachristina Musso von der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie des Universitätsklinikums Freiburg haben mit ihrem Forschungsteam ein neues Training zur Verbesserung der Sprachfähigkeit entwickelt. Für ihren innovativen Trainingsansatz, der die Gehirnsignale der Patientinnen und Patienten einbezieht, wurden sie mit dem BCI Award ausgezeichnet.

Der BCI Award ist ein mit 2.000,-€ dotierter internationaler Forschungspreis und wird für neue und vielversprechende klinische Einsatzmöglichkeiten von Gehirn-Computer-Schnittstellen (brain-computer interfaces, BCIs) vergeben. Solche Systeme messen Gehirnsignale und werten sie innerhalb weniger Millisekunden durch selbstlernende Computeralgorithmen aus. Dadurch ist es möglich, allein durch die eigene Gehirnaktivität eine Computeranwendung zu steuern. Musso und Tangermann entwickelten im Rahmen des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools eine neue Anwendung dieser Technologie: Ihr Ziel war die Verbesserung der Sprachfähigkeit von Patienten nach einem Schlaganfall. Die international besetzte Jury des Wissenschaftspreises würdigte diese Forschung auf dem siebten International Brain-Computer Interface Meeting in Asilomar, Kalifornien. Es überzeugte der hohe Innovationsgrad und die deutlichen sprachlichen Verbesserungen, die die Patienten in der Pilotstudie erzielten.

Tangermann und Musso entwickelten mit ihrem Team eine Sprachaufgabe, die das aufmerksame Heraushören eines bestimmten Zielworts (z.B. Jacke) aus einem kontinuierlichen Strom vieler anderer Worte erfordert (z.B. Trichter, Knöpfe, Drucker, Glocke, Flasche, ...). Sie messen dafür mit einem Elektroenzephalogramm (EEG) die Gehirnsignale der Patienten, während diese den abgespielten Worten zuhören. Ihr Aufgabe ist es, die Worte wahrzunehmen und zu vergleichen, um schließlich die Zielworte herauszuhören. Im Gegensatz zu existierenden Sprachtrainingsansätzen ist das Aussprechen der Worte nicht nötig. Die EEG-Signale können kognitive Prozesse mit hoher zeitlicher Genauigkeit abbilden, was wichtig für die Untersuchung von Sprache ist. Mit Algorithmen des maschinellen Lernens unterscheiden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Echtzeit, welche EEG-Signale beim Zuhören durch das  Zielwort oder aber durch die ablenkenden Worte ausgelöst werden. Patienten bekommt direkt im Anschluss an die abgespielten Worte eine Rückmeldung, die auf der Auswertung ihrer EEG-Signale basiert. „Diese direkte Rückmeldung zeigt den Patienten, wie gut sie die Aufgabe absolviert haben. Dadurch lernen sie, eine erfolgreiche Strategie zu entwickeln und zu benutzen“, erklärt Musso.

Das intensive Sprachtraining dauert drei bis fünf Wochen und findet an vier Tagen pro Woche statt. Bei den acht Patienten, die an der Pilotstudie teilnahmen, lag der Schlaganfall mehrere Monate bis Jahre zurück. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Durch das Training haben sich bei diesen chronischen Patienten viele sprachliche Kompetenzen (Aussprechen, Benennen, Verstehen, Schreiben und Lesen) verbessert.

Allein in Deutschland erleiden jedes Jahr rund 25.000 Menschen durch einen Schlaganfall eine dauerhafte Sprachstörung. „Diese hohe gesellschaftliche Relevanz und die positive Rückmeldung durch den BCI Award bestärken uns in unserer Forschung. Wir werden sie weiter vorantreiben, damit das BCI-gestützte Sprachtraining in einigen Jahren als neue Therapieoption zur Verfügung steht“, so Tangermann. Die Wissenschaftler planen ab 2019 eine größer angelegte Studie, um die Wirkung des Trainings genauer zu untersuchen. Sie wollen außerdem herausfinden, für welche Patientengruppe und für welche Arten von Schlaganfällen es besonders geeignet ist. Von einem Therapeuten durchgeführt, könnte der neue Trainingsansatz zukünftig die traditionelle Sprachtherapie unterstützen.

Weblinks:
Studie: www.bsdlab.uni-freiburg.de/aphasiestudie
Projekt: www.brainlinks-braintools.uni-freiburg.de/de/forschung/projekte/cogreha/
Preis: www.bci-award.com

Kontakt:
Dr. rer. nat. Michael Tangermann
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Informatik, Brain State Decoding Lab
Albertstr. 23
79104 Freiburg 
Telefon: 0761-203-8423
Email: michael.tangermann@blbt.uni-freiburg.de

Dr. med. Mariachristina Musso
Universitätsklinikum Freiburg
Neurozentrum, Klinik für Neurologie und Neurophysiologie
Breisacher Straße 64
79106 Freiburg 
Telefon: 0761-270-50010
Email: mariachristina.musso@uniklinik-freiburg.de

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