In die Tiefe getäuscht
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Freiburg, 26.05.2017
Die Medizintechnikfirma neuroloop, eine Ausgründung des Instituts für Mikrosystemtechnik - IMTEK der Technischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität und des Universitätsklinikums Freiburg, arbeitet mit Täuschung: Ihr Neurostimulator „Baroloop", eine neuartige Dünnfilm-Elektrode, veranlasst die Nerven dazu, dem Gehirn übertrieben hohe Blutdruckwerte zu melden. Als Folge sinkt der Druck.
„Unsere Technologie ist die erste Alternative, um erhöhten Blutdruck ohne Medikamente zu senken", sagen die neuroloop-Geschäftsführer Dr. Michael Lauk und Dr. Dennis Plachta. Ihr Neurostimulator nutzt den natürlichen Baroreflex. In einigen Arterien messen Barorezeptoren den Blutdruck. Ihre Ergebnisse schicken sie ans Gehirn. Findet das den Druck zu hoch, setzt der Baroreflex ein: Die Herzfrequenz lässt nach, die Blutgefäße weiten sich, der Blutdruck fällt. Bei Personen mit chronischem Bluthochdruck ist dieser Regelkreis gestört. „Baroloop stimuliert bestimmte Nervenfasern, die dem Gehirn dann überhöhte Blutdruckwerte melden", erklärt Plachta. Der angebliche Soll-Ist-Unterschied wird so groß, dass der Baroreflex anspringt.
Das größte Hindernis war bisher der Angriffspunkt, der Vagusnerv. Er ist ein menschlicher Datenhighway mit vielen Nervenfasern, die verschiedene Funktionen steuern: Wer den Vagusnerv reizt, tritt Scharen an Wirkungen los, auch unschöne wie Brech- und Hustenreiz. Darum hat Plachta, der sich bei neuroloop um die Forschung kümmert, eine neuartige, flexible Dünnschichtelektrode entwickelt. Sie legt sich um den Vagusnerv wie eine Manschette. In ihr verlaufen 24 Stimulationsleitungen, die der Neurowissenschaftler einzeln aktivieren kann. So gelingt es, selektiv diejenigen Teile des Vagusnervs anzuregen, in denen vorwiegend „Blutdruck-Nerven" verlaufen. Wenn Baroloop den Blutdruck senkt, gibt es fast keine Nebenwirkungen.
Marktinteresse, aber viele Absagen
2016 erhielt Baroloop den Förderpreis des Forums Angewandte Informatik und Mikrosystemtechnik. Aufsehen erregte der Neurostimulator aber schon 2013 auf der weltgrößten Tagung für Medizintechnik. „Da sind mehrere Vertreter von Unternehmen an uns herangetreten", erzählt Plachta. Das Interesse gab den Anstoß, die Firma neuroloop zu gründen – gemeinsam mit dem Freiburger Professor für Biomedizinische Mikrotechnik, Thomas Stieglitz, und den Neurochirurgen Dr. Mortimer Gierthmühlen und Prof. Dr. Josef Zentner vom Universitätsklinikum Freiburg. Auf Anfragen nach Mitteln zur Produktentwicklung erhielten die Gründer allerdings nur Abfuhren: „Zu kompliziert", „zu teuer", zu riskant", hieß es und: „Ihr habt noch einen langen Weg vor euch."
Immerhin fand neuroloop im Tuttlinger Medizintechnikhersteller BBraun/Aesculap AG schnell einen Industriepartner. Mit möglichen Risikokapitalgebern konnten sich beide aber nicht einigen. Über Prof. Dr. Bernhard Arnolds von der Campus Technologies Freiburg GmbH kam Michael Lauk ins Spiel. Der Physiker bezeichnet sich selbst als „Company-Builder". Er konnte Aesculap überzeugen, die Entwicklung von Baroloop mit eigenem Kapital zu wagen. Dabei sei ein wegweisendes Kooperationsmodell entstanden: Aesculap kann später die Vermarktung übernehmen und in bereits festgelegten Schritten neuroloop erwerben. Währenddessen entwickelt neuroloop das Produkt. „Jeder kann sich auf das konzentrieren, was er gut kann", unterstreicht Lauk.
Lauk startete bereits 1998 seine erste Firma. „Seleon" war ebenfalls eine Ausgründung aus der Universität Freiburg. Heute beschäftigt der Medizintechnik-Dienstleister in Heilbronn knapp 85 Mitarbeitende. Weitere Start-ups folgten. Für Lauk Schnee von gestern: „Wenn das Tagesgeschäft beginnt, gebe ich die Firmen in andere Hände." Aktuell ist er an zwei Start-ups in den USA beteiligt und an zweien in Freiburg – neben neuroloop. Mehr als 50 Produkte hat er mit verschiedenen Teams entwickelt. „Ich kann die Geldgeber verstehen, kann ein Unternehmen managen, kenne die Märkte und die internationalen Zulassungsprozesse." Er glaubt, die Zeit sei reif für Baroloop: „Im Moment explodiert der Markt für Neurostimulatoren."
Hoffnung für Millionen Menschen
Neurostimulatoren, oft „Schrittmacher" genannt, helfen bereits bei vielen Erkrankungen wie Migräne, chronischen Schmerzen, überaktiver Blase und Depressionen. In der Therapie von Bluthochdruck wären Neuerungen willkommen. Allein in Deutschland sind mehr als 20 Millionen Menschen von der Volkskrankheit betroffen. Auf Dauer erhöht sie das Risiko für ernste Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall erheblich. Doch gängige Medikamente wirken bei mehr als einem von fünf Patientinnen und Patienten nicht zufriedenstellend. Ihnen könnte Baroloop mehr Lebensqualität und Lebensjahre schenken.
Das liegt Lauk und Plachta am Herzen. 2022 soll ihr Baroloop marktreif sein. „Bei der Dünnfilmelektrode sind wir schon Weltmeister", freut sich Lauk. Nur die Elektronik muss noch sicherer und zuverlässiger werden. Schließlich bekommen Patienten den Stimulator implantiert – in die Brust ein kleines Titangehäuse mit der Elektronik und die Elektrode in den Hals. „Wenn wir 2022 ein Produkt mit guter Wirksamkeit und weniger Nebenwirkung anbieten könnten, wäre ich glücklich", sagt Lauk. Plachta hat sich noch ein weiteres Ziel gesetzt. „Forschung ende nie", sagt er. Jedes Ergebnis werfe neue Fragen auf, und irgendwann gehen Projekte automatisch in andere Hände über. Bei Baroloop steht die Marktreife als Schlusspunkt fest. „Ich will endlich einmal etwas von Anfang bis Ende durchziehen", wünscht sich Plachta: „Ich möchte etwas Bleibendes hinterlassen, von dem ich meinen Kindern erzählen kann."
Jürgen Schickinger
Gründerbüro der Universität Freiburg
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